Astronomen gelingt seltener Schnappschuss einer Planetenbaustelle Planeten entstehen in Scheiben aus Gas und Staub rund um junge Sterne. Nun ist mit dem Verbundteleskop ALMA und dem Weltraumobservatorium Herschel eine seltene Aufnahme einer Planetenbaustelle in einem unerwarteten Zwischenstadium gelungen: Entgegen den Erwartungen enthält die Scheibe um den Stern HD 21997 sowohl ursprüngliches Gas aus der Zeit der Sternentstehung als auch Staub, der durch die Kollision von Planetesimalen entstanden ist – den urtümlichen kosmischen Gesteinsbrocken, aus denen die sehr viel größeren Planeten entstehen. Dies ist die erste Beobachtung einer solchen »hybriden Scheibe« und dürfte eine Nachbesserung der gängigen Modelle der Planetenentstehung erfordern.
Bei ihrer Geburt sind Sterne wie unsere Sonne von Scheiben aus Staub und Gas umgeben. In diesen Scheiben bildet sich das Planetensystems des Sterns: Der Staub verklumpt weiter und weiter, und am Ende sind kilometergroße massive Brocken entstanden, die Planetesimale genannt werden. Diese Brocken bilden später die Asteroiden und Kometen des Systems, oder sie verklumpen weiter und bilden Felsplaneten unsere Erde oder die Kerne für große Gasplaneten. Die gängigen Modelle der Planetenentstehung sagen voraus, dass das ursprünglich vorhandene Gas der Scheibe in der Planetesimalen-Phase rasch aufgebraucht wird. Einiges davon fällt in den Stern zurück, ein weiterer Teil sammelt sich in dem, was später die Gasplaneten (wie unser Jupiter) werden, und der Rest wird durch die intensive Strahlung des jungen Sterns ins All hinausgetrieben. Nach rund 10 Millionen Jahre, so die bisherige Überzeugung, sollte das ursprüngliche Gas verschwunden sein. Jetzt hat ein Astronomenteam aus den Niederlanden, Ungarn, Deutschland und den USA, zu dem auch Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie gehört, allerdings eine seltene hybride Scheibe gefunden, die zum einen große Mengen an urtümlichem Gas, zum anderen aber bereits Staub enthält, der bei der Kollision solcher Planetesimale entstanden ist. Es handelt sich um eine Art Bindeglied zwischen den frühen und späteren Phasen der Scheibenevolution – der ursprünglichen Scheibe und der späteren Phase der Planetesimalen-Trümmer. Die Astronomen nutzten sowohl das Weltraumobservatorium Herschel der ESA als auch das Verbundteleskop ALMA in Chile, um die Scheibe rund um den Stern HD 21997 zu untersuchen. Dieser Stern liegt von uns aus gesehen im südlichen Sternbild Chemischer Ofen (Fornax), 235 Lichtjahre von uns entfernt. Er hat das 1,8fache der Sonnenmasse und ist rund 30 Millionen Jahre alt. Die Herschel- und ALMA-Beobachtungen zeigen einen ausgedehnten Staubring, der den Stern in Entfernungen zwischen 55 und 150 Astronomischen Einheiten (AE, entspricht der durchschnittlichen Entfernung der Erde von der Sonne) umgibt. Die ALMA-Beobachtungen zeigen außerdem einen Gasring – doch überraschenderweise sind die beiden nicht deckungsgleich! Die Leiterin der Studie, Ágnes Kóspál von der ESA, erklärt: »Der innere Rand des Gasrings liegt näher am Zentralstern als der des Staubrings. Wären Gas und Staub durch den gleichen physikalischen Prozess erzeugt worden, nämlich durch die Erosion von Planetesimalen, dann sollte man erwarten, dass beide Ringe deckungsgleich sind. Das ist bei der inneren Scheibe aber eindeutig nicht der Fall.« Attila Moór von der Konkoly-Sternwarte fügt hinzu: »Unsere Beobachtungen zeigen außerdem, dass frühere Studien die Gasmenge in der Scheibe grob unterschätzt hatten. Aus der Menge an Kohlenstoffmonoxid in der Scheibe können wir nun aber schließen, dass die Gesamtmasse des Gases zwischen 30 und 60 Erdmassen liegen dürfte.« Dieser Wert ist ein weiterer Fingerzeig, dass die Gasscheibe aus demselben urtümlichen Material besteht, aus dem auch der Stern entstanden ist – Gasfreisetzung bei der Kollision von Planetesimalen könnte diese gewaltige Menge unmöglich erklären. Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie sagt: »Dass wir um den 30 Millionen Jahre alten Stern HD 21997 urtümliches Gas finden, gibt uns ein Rätsel auf. Sowohl Modellrechnungen als auch frühere Beobachtungen zeigen, dass das Gas in dieser Art von Scheibe rund um einen jungen Stern bereits nach rund 10 Millionen Jahren verschwunden sein sollte.« Die Astronomen bemühen sich derzeit, weitere Systeme wie HD 21997 für weitergehende Untersuchungen an hybriden Scheiben zu finden, und zu klären, wie sie sich in die gängigen Modelle der Planetenentstehung einfügen – oder wie diese Modelle verändert werden müssen.
Kontakt Thomas Henning Max-Planck-Institut für Astronomie Heidelberg Telefon: (+49|0) 6221 – 528 200 E-Mail: henning@mpia.de Ágnes Kóspál (Erstautor) European Space Agency Noordwijk, Niederlande Telefon: (+31|0) 71 – 565 4508 E-Mail: akospal@rssd.esa.int Attila Moór Konkoly Observatory Budapest, Ungarn Telefon: (+36|0) 1 – 391 9326 E-Mail: moor@konkoly.hu Markus Pössel (Öffentlichkeitsarbeit) Max-Planck-Institut für Astronomie Heidelberg Telefon: (+49|0) 6221 – 528 261 E-Mail: pr@mpia.de
Hintergrundinformationen Die hier beschriebenen Ergebnisse sind jüngst in zwei Fachartikeln im Astrophysical Journal veröffentlicht worden: Kóspál et al.: "ALMA observations of the molecular gas in the debris disk of the 30 Myr old star HD 21997" und Moór et al.: "ALMA continuum observations of a 30 Myr old gaseous debris disk around HD 21997". • ADS-Eintrag des Artikels Kóspál et al. • ADS-Eintrag Moór et al. Die beteiligten Forscher sind Ágnes Kóspál (ESA), Attila Moór, Péter Ábrahám, Csaba Kiss und Krisztina Gabányi (Konkoly-Sternwarte), Attila Juhász und Markus Schmalzl (Sternwarte Leiden), Thomas Henning (MPIA), Dániel Apai und Ilaria Pascucci (University of Arizona), Timea Csengeri (MPIfR), Carol Grady (NASA Goddard und Eureka Scientific) sowie Meredith Hughes (Wesleyan University). Herschel ist ein Weltraumobservatorium der ESA, dessen wissenschaftliche Instrumente von wissenschaftlichen Konsortien unter europäischer Leitung entworfen und gebaut wurden – mit wichtigen Beiträgen der NASA. Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) ist eine internationale astronomische Einrichtung, die gemeinsam von Europa, Nordamerika und Ostasien in Zusammenarbeit mit der Republik Chile getragen wird. Von europäischer Seite aus wird ALMA über die Europäische Südsternwarte (ESO) finanziert, in Nordamerika von der National Science Foundation (NSF) der USA in Zusammenarbeit mit dem kanadischen National Research Council (NRC) und dem taiwanesischen National Science Council (NSC), und in Ostasien von den japanischen National Institutes of Natural Sciences (NINS) in Kooperation mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan. Bei Entwicklung, Aufbau und Betrieb ist die ESO federführend für den europäischen Beitrag, das National Radio Astronomy Observatory (NRAO), das seinerseits von Associated Universities, Inc. (AUI) betrieben wird, für den nordamerikanischen Beitrag und das National Astronomical Observatory of Japan für den ostasiatischen Beitrag. Dem Joint ALMA Observatory (JAO) obliegt die übergreifende Projektleitung für den Aufbau, die Inbetriebnahme und den Beobachtungsbetrieb von ALMA.
Fragen und Antworten Welche Teleskope kamen bei dieser Forschung zum Einsatz? Die Beobachtungen von HD 21997 nutzten die zwei empfindlichsten jemals für den Nachweis von ferninfraroter und Millimeterwellen-Strahlung konstuiert wurden: Die Instrumenta PACS und SPIRE an Bord des ESA-Weltraumobservatoriums Herschel wurden genutzt, um die von dem Staub ausgesandte Strahlung nachzuweisen. Die Herschel-Messungen zeigten, dass die typische Temperatur der zwischen mehreren Mikrometern und einigen Millimetern großen Staubkörnern bei rund 60 Kelvin (-210 Grad Celsius) liegt. Mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA), das Signale eines Netzwerks von Radioantennen kombiniert, war es dann möglich, die Emissionen der Staubkörner und Gasmoleküle räumlich aufzulösen, sprich: die räumliche Struktur von Gas- und Staubscheibe zu bestimmen. So fanden die Astronomen heraus, dass die beiden Scheiben unterschiedliche Strukturen haben – offenbar sind sie nicht beide durch Kollisionen von Planetesimalen erzeugt worden. Was ist neu/wichtig an diesen Ergebnissen? In vielen Systemen, die sich in späteren Entwicklungsphasen befinden, bildet sich aus der Kollision von Planetesimalen frischer Staub, der eine Scheibe rund um den Stern bildet. Den herrschenden Vorstellungen nach sollte diese »debris disk« so gut wie gasfrei sein. Dementsprechend überrascht waren die Astronomen, als sie in einer Handvoll solcher Systeme – β Pictoris, HD 32297, 49 Ceti, HD 172555, HD 32297 – nachweisbare Mengen an Gas fanden. Die Herkunft dieses Gases gab Anlass für kontroverse Diskussionen: Waren auch hier die Planetesimalen-Kollisionen verantwortlich, die genau so, wie sie immer wieder neuen Staub freisetzten, auch Gas in Umlauf brachten? Oder handelte es sich um urtümliches Material wie jenes, aus denen sich auch der Stern selbst gebildet hatte – Material, das seit den Anfängen der Sterngeburt überlebt hatte, im Gegensatz zu den Erwartungen? Die hier beschriebenen neuen Ergebnisse für HD 21997 legen eindringlich nahe, dass es sich in der Tat um Überreste des ursprünglichen Gases handelt. Zum sind die Gas- und die Staubscheibe etwas gegeneinander verschoben – was schwerlich mit der Annahme vereinbar ist, beide Komponenten hätten sich durch denselben Mechanismus, nämlich bei der Kollision von Planetesimalen gebildet. Außerdem ist die Masse des nachgewiesenen Gases insgesamt zu groß, um bei solchen Kollisionen erzeugt worden zu sein. Mit dieser Entdeckung ist die Diskussion in ein neues Stadium eingetreten. Jetzt müssen sich die Wissenschaftler genauer ansehen, wie sich ihre Modelle mit der unerwarteten Langlebigkeit des urtümlichen Gases vereinbaren lassen. Wie wurde die Masse der Gasscheibe abgeschätzt? In der interstellaren Materie, in Molekülwolken oder zirkumstellaren Scheiben um junge Sterne liefert Wasserstoff der Masse nach unter allen Molekülen den Löwenanteil. Ungünstigerweise ist Wasserstoff direkten Beobachtungen fast nicht zugänglich (es besitzt kein permanentes Dipolmoment). Andererseits ist Wasserstoff in solchen Situationen üblicherweise nicht alleine, sondern es wird von geringen Mengen anderer Moleküle begleitet. Von diesen Molekülen kann man dann auf die Anwesenheit von Wasserstoff zurückschließen (»tracer molecules«). Kohlenstoffmonoxid beispielsweise besitzt mehrere Spektrallinien, die günstigerweise in den Bereich der Millimeterwellen fallen und entsprechend mit Hilfe von Teleskopen wie ALMA nachgewiesen werden können. Hat man Kohlenstoffmonoxid nachgewiesen, kann man anhand empirisch ermittelter Formeln umrechnen, wieviel Masse sich in Form von Wasserstoffmolekülen in der betreffenden Region befinden dürfte. Für HD 21997 war seit längerem bekannt, dass der Stern eine Staubscheibe (debris disk) besitzt – die Wärmestrahlung der Staubkörner war im Infraroten nachgewiesen worden. Kohlenstoffmonoxid wurde erst 2011 von dem gleichen Team nachgewiesen, von dem auch die hier berichteten neuen Erkenntnisse stammen. Ab diesem Zeitpunkt wurde HD 21997 für die Astronomen besonders interessant. Überraschenderweise konnten die Forscher – wie hier erstmals berichtet – jetzt nicht mehr nur normales Kohlenstoffmonoxid (CO) nachweisen, sondern auch dessen weniger häufige Varianten, bei denen mindestens eins der in den Molekülen verbauten Atomkerne eine andere Anzahl von Neutronen im Kern hat als üblicherweise (seltenere Isotope). In der ursprünglichen Abschätzung (Moór et al. 2011) hatten die Forscher angenomen, sie hätten Beiträge von Molekülen aus allen Regionen der Scheibe nachgewiesen, weil die Scheibe für diese Art von Strahlung durchsichtig sei. Der Nachweis von Molekülen, die sehr seltene Atomkerne enthalten, zeigt, dass diese Annahme falsch ist, denn die Scheibe ist soviel massereicher als geschätzt, dass selbst so seltene Molekülvarianten darin in messbaren Mengen vorkommen. Offenbar ist die Scheibe für normales CO doch nicht durchsichtig. Eine Abschätzung aufgrund der seltensten nachgewiesenen Molekülvariation, C18O, zeigt, dass die ursprüngliche Abschätzung der Kohlenstoffmonoxid-Masse in der Scheibe um einen Faktor von der Größenordnung 100 zu niedrig gelegen hat. Die genauere Abschätzung ergibt einen Wert von 0,06 Erdmassen. Die Schätzung für die Gesamtmenge an Gas, inklusive Wasserstoff, wächst damit auf 30-60 Erdmassen. Der Staubring hat eine Gesamtmasse von einer Zehntel Erdmasse, verteilt auf Staubkörner mit Größen zwischen mehreren Mikrometern und einigen Millimetern.
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Abbildung 3: Antennen des Atacama Large Millimeter/submillimeter Array ALMA, eines Verbundteleskops auf der Chajnantor-Hochebene in den chilenischen Anden. Die Beobachtungen von Bolatto und seinen Kollegen nutzten eine reduzierte Version von ALMA, bei der 16 Antennen so zusammengeschaltet wurden, dass sie wie ein einziges Teleskop agierten. Letztlich werden bei ALMA 66 Antennen zusammengeschaltet werden. Bild: ESO / C. Malin [Größere Version zum Herunterladen] |
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Bildmaterial
Pressemitteilungen 2013 |